Diesen Text hab' ich gerade auf meiner Festplatte gefunden und da ich im Moment viel zu viele Impulse in zu verschiedene Richtungen habe als dass ich mich festlegen könnte, lass ich Euch jetzt an dieser Erkenntnis aus dem letzten Jahr, die mir sehr weitergeholfen hat, teilhaben.
(Dazu wäre vielleicht noch zu sagen, dass ich diese Thematik dank der Erkenntnis inzwischen "auflösen" konnte, [bzw inzwischen sehr gut steuern kann und sehr schnell merke wenn ich es aus der Hand gebe und unterbewusst in das alte Schema zu rutschen drohe] und jetzt endlich mein erstes Jahr seit der Pubertät bei-mir-seiend verbracht habe. Yay!)
 

Neben sich stehen - ständig

Dieses Gefühl, neben sich zu stehen oder schweben –tatsächlich physisch neben sich selbst zu stehen-, sich selbst von außen zu betrachten, als wäre man eine andere Person – bzw. als wäre man zwei Personen, habe ich fast ununterbrochen seit vielen Jahren. Ich erinnere mich, dass ich dieses Gefühl in meiner Kindheit nicht hatte –wenn überhaupt dann nur ganz selten.

Es muss etwa mit der Pubertät begonnen haben.
Ich weiß auch, dass ich es nicht immer hatte; wenn ich alleine war, hatte ich es nicht so oft.

Das Ganze hat sich bei mir schon lange so tief eingegraben und war so oft und lange präsent, dass ich mir dessen i.d.R. gar nicht mehr bewusst war, weil es für mich total normal geworden war.
Aber immer wieder kamen Momente oder auch Phasen, in denen es mir wieder extrem aufgefallen ist und zwar in negativer Weise. Ich habe gemerkt, dass mich dieses Gefühl –oder das, was dieses Gefühl hervorruft, was auch immer das sein mochte- mich daran hindert, ganz ich selbst zu sein.
Dass es mich unauthentisch und unzufrieden –mich mir selbst fremd- macht.
Und wenn es etwas gibt, das mich schon immer maßlos abgestoßen hat, dann ist das „Un-Authentizität“!
Vom ganz-ich-selbst-sein war ich sowieso weit entfernt, aber ich habe gefühlt, dass dieses Thema mich noch weiter davon fernhält, mir selbst zu begegnen und mich selbst zu leben.

Ich habe dieses Gefühl immer passiv erlebt, hatte es nicht im Griff, war mir aber bewusst, dass das nicht „normal“ sein konnte und habe gespürt, dass es mir nicht gut tut.

Die Ursache hierfür konnte ich mir nie erklären, einmal –so mit etwa 23, glaube ich- war ich sogar deswegen beim Arzt. Die Frau meines damaligen Arztes führte in demselben Gebäude ihre eigene Homöopathie-Praxis. Ich ging nicht davon aus, dass das Problem rein körperliche Ursachen –höchstens vielleicht neurologische- hatte, daher wandte ich mich damit an die Homöopathin, von der ich vermutete, dass sie mehr aus der Sache herausholen könnte als ihr Mann.

Nach einem Gespräch über die Problematik, meinen aktuellen seelischen Zustand, mein soziales Umfeld und einem kleinen Einblick in meine Vergangenheit, war der einzige Schluss, zu dem die Ärztin kam, der, dass ich eventuell einige Jahre zuvor bleibende Schäden vom Kiffen davongetragen haben könnte. Dieses neben-sich-stehen und sich-selbst-beobachten erinnerte sie stark an Rauschzustände durch Gras…. …Ich glaubte nicht, dass das die wahre Erklärung für mein Problem war. Ich hatte nie viel oder regelmäßig gekifft und auch wenn mir die Homöopathin versicherte, dass auch einmaliger Marihuana-Konsum dauerhafte Auswirkungen hatte, hatte ich nicht das Gefühl, dass hier eine Verbindung bestünde.

Ich erklärte mir diese Auffälligkeit letztendlich so, dass es wohl einfach eine „Nebenwirkung“ meiner generellen Verträumtheit und meiner verkorksten Psyche war. Ich musste wohl einfach damit leben, das war wohl einfach ein unabänderlicher Teil meiner Psyche, den ich eben für immer passiv durchleben musste.

Vorgestern Morgen aber, wurde ich eines Besseren belehrt:

Mir kam, wie aus dem Nichts, plötzlich der Einfall, dass das Ganze vielleicht gar keine Sache ist, die ich standardmäßig passiv erlebe, sondern etwas, das ich unaufhörlich selbst aktiv ausübe.
Ich dachte ein paar Minuten darüber nach, fühlte hinein, testete Hypothese und Gegenteiliges und kam tatsächlich zu dem erleuchtenden Schluss: Ja, es IST etwas, das ich aktiv tue, die ganze Zeit, seit über einem Jahrzehnt!
Diese These beinhaltet natürlich auch die Tatsache, dass ich es steuern können muss.
Was man aktiv tut, hat man in der Hand – sofern man es bewusst tut, oder sich bewusst macht, dass man es unbewusst aktiv tut.
Ich probierte es aus, während ich neben anderen Leuten auf meinen Bus wartete, einstieg und zur Arbeit fuhr. Es funktionierte.
Ich merkte, dass und wie ich es steuern kann.
Ich weiß zwar auch, dass mir das nicht in jeder Situation leicht fallen und wahrscheinlich auch noch sehr oft nicht gelingen wird, aber ich wusste nun, dass es möglich ist. Und was in einer Situation möglich ist, das ist generell möglich, muss also auch in jeder anderen Situation zu schaffen sein. Es ist also Übungssache, ein Lern- und (Ab-)Gewöhnungsprozess.
 

Was für eine Offenbarung! Was für ein Erfolg!!
Ein riesengroßer Schritt hin zu meinem größten und heiligsten Ziel: Ich-selbst-sein.
Und das einfach so –plopp- auf einmal, beim Warten an der Bushaltestelle. Großartig! 

Jetzt also die Erläuterung zum Inhalt dieser wahnsinns Selbsterkenntnis:
Ich habe an jenem Morgen festgestellt, dass das was ich da ununterbrochen unbewusst tue eine Art Selbst-Kontrolle ist. Aber nicht Kontrolle als Beherrschung, sondern im Sinne von Überprüfung.
Es muss seinen Ursprung –und hier macht es auch chronologisch gesehen Sinn- in meiner Teeny-Zeit haben, als ich generell eher ein Außenseiter war, als sonst etwas und gehänselt, gemobbt, ausgeschlossen, ausgelacht, fertig gemacht wurde. Von Klassenkameraden, fremden Kindern, Lehrern, von „Freundinnen“.
Als Selbstschutz war ich mit der Zeit ständig darauf bedacht, nicht aufzufallen, „cool“ zu wirken, „selbstbewusst“ und „stark“ auszusehen, hübsch zu sein, normal zu sein, unabhängig und eigenständig zu wirken – eben all das auszustrahlen was einen vermeintlich unverletzbar(er), unangreifbar(er) macht oder aussehen lässt, all das zu verstecken und überspielen, was anderen Leuten Anreiz gab, einen in irgendeiner Form aktiv oder passiv zu kränken und vorsorglich, um zu vermeiden überhaupt aufzufallen.
Daher achtete ich also ständig darauf, wie ich nach außen wirkte, oder wie ich meinte nach außen zu wirken: Körperhaltung, Mimik, Gestik, Gangart, Aussehen, (anti-)Blickkontakt, „Beschäftigung“ (also z.B. Rauchen während man auf etwas wartet,…), in Situationen mit sozialer Interaktion auch die Stimme, die Art zu sprechen, die Wortwahl, und und und.
Das war es also, was ich aus meiner Teenager-Zeit ganz unbemerkt mit in meine Zwanziger genommen hatte und es die ganze Zeit für ein angeborenes oder „anerkranktes“ unantastbares neurologisches, charakterliches oder psychisches Phänomen gehalten habe.
Aus diesen Ursachen abgeleitet lässt sich recht schnell auf den Grund dieser antrainierten Handlung schließen: Ich war überzeugt davon, in meiner natürlichen Art, nicht „genug“ zu sein. Nicht gut genug, nicht normal genug, nicht „cool“ genug, nicht weiblich genug, nicht hübsch genug, nicht sympathisch genug, nicht interessant genug, nicht stark genug, den anderen nicht ähnlich genug, nicht zureichend.
Ich hatte mir also in mein Gehirn eingraviert, dass es wichtig ist, mich unentwegt selbst zu überprüfen, weil ich sonst nicht „genüge“. Im Umkehrschluss also: Ich habe mir selbst eingebläut, dass ich so, wie ich bin wenn ich einfach ich selbst bin, nicht „genüge“.
Einerseits wegen meinen negativen Erfahrungen als Teenager (wenn ich recht überlege hat das sogar schon zu Grundschulzeiten begonnen), andererseits wegen meinem ohnehin krankhaft abgemagerten Selbstwertgefühls. Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei!? Wie auch immer, es geht Hand in Hand.
Zusammenfassend kann man also sagen, ich habe mich über viele Jahre hinweg so gut wie immer selbst kritisiert, selbst diskriminiert. (Was ist es sonst, wenn man sich jede Sekunde selbst sagt, dass man wachsam überprüfen muss, ob man sich genügend verstellt um zureichend zu sein…als Mensch, als Mädchen…..weil man so, wie man wirklich ist, auf keinen Fall wert sein kann, akzeptiert, gemocht, geschätzt, respektiert, in Frieden gelassen,…zu werden…!?!)


Als ich mir vorgestern Morgen dann probeweise im Stillen ganz eindringlich selbst sagte, dass ich, so wie ich auf natürliche Weise bin, handle, aussehe, wirke, sehr wohl und absolut zureichend und „genug“ bin, merkte ich, wie der Kontroll-Zwang über mein Selbst nachließ und nachdem ich mich mit aller Kraft –und einer gehörigen Portion „erzwungenem“ Vertrauen- darauf konzentrierte, diese Aussage auch wirklich als Wahrheit anzunehmen und zu spüren, gelang es mir, von dem Platz neben mir wieder in mich selbst, voll und ganz in meinen Körper zu treten und nicht mehr von außen sondern nach außen zu blicken.

Ich weiß, das zu lernen, wird schwer und mir erstmal nicht oft oder nicht lange oder auch teilweise überhaupt nicht gelingen, aber ich habe jetzt den Schlüssel und das Schloss in das er gehört. Jetzt muss ich ihn noch zurecht schleifen, bis er sich nicht mehr verkantet und problemlos in das Schloss gleitet, was anstrengend wird….aber dann…dann ist eine weitere –und ich will meinen sehr sehr große und wichtige- Tür geöffnet!
Und das zu wissen gibt Mut und Hoffnung….und es wird sich lohnen!

 

 

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